Du willst, dass dein Pferd gerne Zeit mit dir verbringt und motiviert mitarbeitet? Du möchtest eine respekt- und vertrauensvolle Beziehung mit deinem Pferd haben? Sehr schön, ich möchte dir gerne dabei helfen! Helfen zu erkennen, ob dein Pferd wirklich Spaß an eurer gemeinsamen Aktivität hat und wie du eine wundervolle Beziehung voller Vertrauen und gegenseitigem Respekt aufbauen kannst. Das Zauberwort heißt „Achtsamkeit“.
Achtsamkeit scheint aktuell ein echtes Modewort zu sein. Aber was bedeutet es überhaupt „achtsam“ mit seinem Pferd umzugehen? Vermutlich gibt es da sehr viele unterschiedliche Meinungen zu. Ich möchte dir hier meine Gedanken zu dem Thema näher bringen.
Achtsam im Moment sein
Achtsamkeit bedeutet vor allem im Hier und Jetzt zu sein! Es bedeutet, den aktuellen Moment wahrzunehmen ohne ihn zu bewerten oder direkt etwas tun bzw. daran ändern zu wollen.
Pferde leben immer im Hier und Jetzt.
In unseren Gedanken sind wir selbst jedoch häufig schon 10 Schritte weiter und verpassen dabei eine Menge an Signalen, die das Pferd uns sendet.
Kennst du zum Beispiel diese Situation:
Du nimmst dir das Halfter und machst dich auf den Weg zu deinem Pferd. Dabei freust du dich schon auf den Ausritt, für den du dich mit einer Freundin verabredet hast. Wo wollt ihr heute denn lang reiten? Durch den Wald oder lieber die schöne Galoppstrecke über das Feld? Oh, oder zu den kleinen Hügeln, wo die Pferde schön ihre Hinterhandmuskulatur trainieren können!
Inzwischen bist du bei deinem Pferd angekommen, streichelst es kurz und halfterst dann auf. Du führst es am Strick Richtung Putzplatz, während du überlegst dann besser die Hufschuhe anzuziehen, da bei den Hügeln auch häufig Steine und Wurzeln sind. Plötzlich spannt sich der Strick. Du schnalzst und treibst dein Pferd weiter. Ach, da vorne kommt ja auch schon Franzi. Beim Putzen unterhaltet ihr euch. Dabei ist dein Pferd unruhig, scharrt und wandert umher. Du bist genervt, weil es dich von dem Gespräch mit Franzi ablenkt. „Jetzt bleib halt mal stehen“ und „Hör auf jetzt!“, meckerst du vor dich hin, während dein Pferd einfach weiter macht. So hast du natürlich auch Probleme damit zu satteln und erst recht die Hufschuhe ans Pferd zu bekommen!
Glaubst du das wird ein schöner, entspannter Ausritt? Für dich und für dein Pferd?
Lass mich dir die gleiche Geschichte noch einmal aus der Sicht des Pferdes schildern:
Ah, da kommt Frauchen! Was sie wohl heute vor hat? Es ist ziemlich windig, so dass ich nicht hören kann, wenn sich die Raubtiere anschleichen! Ich bin deswegen schon den ganzen Tag etwas angespannt. Hm, sie kommt aber schnell auf mich zu… und so direkt. Das ist mir irgendwie nicht ganz geheuer. Ich mach mal einen Schritt zur Seite. Da kommt auch schon das Halfter. Eigentlich bin ich noch gar nicht so weit. Warte mal! Ich drehte den Kopf zur Seite, damit sie mir das Halfter nicht gleich aufziehen kann. Aber sie dreht sich einfach mit und zieht mir das Halfter trotzdem über. Ehe ich weiß was los ist, zieht sie mich schon hinter sich her…
Uuaaa, der Busch da hinten bewegt sich aber komisch… bist du dir sicher, dass da kein Raubtier hinter sitzt? Ich bin mir nicht sicher und bleibe lieber stehen. Doch Frauchen treibt mich weiter. Hat sie das nicht gesehen? Oder interessiert es sie nicht? Jetzt bindet sie mich auch noch fest! Wie soll ich denn dann flüchten können, wenn das Raubtier kommt??? Hilfe, Frauchen…. Ich fühle mich hier nicht sicher… habe Angst! Ich will hier weg! Ich kann meine Füße gar nicht still halten und versuche nur aus dieser Situation herauszukommen. Aber mein Frauchen wird nur selbst immer raubtierhafter… jetzt fühle ich mich erst recht nicht mehr sicher!!!
Wie denkst du jetzt über diese Situation?
Natürlich denkt ein Pferd nicht in dieser Art und Weise, aber die Gefühle und Sorgen, die es hat, drückt es mit seiner Körpersprache aus! Übergehen wir diese Signale sind wir irgendwann überrascht, weil das Pferd „plötzlich“ nicht mehr mitmacht oder anders reagiert als erwartet. Und dann fallen wir aus allen Wolken, sind genervt und ärgern uns. Doch das macht es natürlich nicht besser, eher im Gegenteil!
Meist beginnt es mit sehr kleinen Gesten und Gesichtsausdrücken. Erst wenn das Pferd merkt, dass wir diese nicht wahrnehmen, werden die Signale immer größer und deutlicher. Stehen bleiben, weglaufen, buckeln, steigen… all das kommt meist erst, wenn wir schon viele andere Signale übersehen haben. Dein Pferd wusste sich dann einfach nicht mehr anders zu helfen!
Wenn das Pferd „Nein“ sagt
Achtsamkeit bedeutet ein „Nein“ des Pferdes wahrzunehmen, und dann auch erst einmal wertfrei zu akzeptieren. Dann erst kommt die Analyse – das „warum?“ Und hier beginnt bereits die Selbstreflexion, denn häufig spiegelt das Pferd uns oder reagiert zumindest auf das was wir tun.
Und wenn es die Entscheidung ist, dass es mit uns – so wie wir gerade drauf sind – lieber nichts zu tun haben will und seiner eigenen Wege geht. Auch das ist ein klares Feedback!
Ich könnte jetzt sagen „Nimm es nicht persönlich“, aber eigentlich ist es genau das. Persönlich! 😉 Wenn du bereit bist das zu akzeptieren und dein Pferd als deinen Lehrer anzuerkennen, bist du einen großen Schritt weiter und wirst enorm viel von ihm bzw. ihr lernen!
Mein wunder Punkt mit Eldur war immer das grasen. Es hat mich immer wieder unglaublich geärgert, wenn er unerlaubt gegrast hat… wenn er sich vor allem in der Freiarbeit von mir abgewendet hat, weil er lieber grasen wollte. Zum Schluss konnte ich etwas besser damit umgehen, weil ich akzeptiert hatte, wie wichtig ihm das Fressen ist. So habe ich das Grasen lassen immer wieder in unseren Alltag mit eingebaut. Ich wusste, dass ich damit Pluspunkte für unsere Beziehung bekam. Und tatsächlich hat Eldur begeistert mitgespielt, solange er wusste, dass ich ihn gleich wieder zum Gras schicken würde.
Achtsamkeit bedeutet viel Selbstreflexion
Achtsamkeit dem Pferd gegenüber erfordert auch Achtsamkeit uns selbst gegenüber – wie ist meine eigene Energie, Atmung, Muskelanspannung, Konzentration, Aufmerksamkeit, Körpersprache etc.?
Meist spiegelt mir mein Pferd nur meine eigene Energie.
So kann ich im Gegenzug viel verändern, in dem ich an mir selbst arbeite und erst danach am Pferd! Häufig erledigen sich viele „Probleme“ dadurch nämlich von alleine. 😉
Wenn ich zum Beispiel selbst gestresst und angespannt bin, kann ich weder einen entspannten Ausritt machen noch meinem Pferd eine neue Übung beibringen! Weil ich aufgrund des Stresses eine sehr geringe Frustrationstoleranz habe und schnell ungeduldig und unfair werde. Manche Pferde bekommen sofort solche Angst vor diesem angespannten Raubtier Mensch, dass sie weder etwas lernen können noch dem Raubtier ins gefährliche Gelände (weit weg vom Schutz der Pferdeherde) folgen möchten. Mehr zum Thema Frust und Wut im Umgang mit dem Pferd habe ich in diesem Blogbeitrag beschrieben.
Achtsamkeit – Ja, aber wie?
Du möchtest nun also achtsamer im Umgang mit deinem Pferd sein. Doch du hast keine Ahnung wie? Ein achtsamer Umgang bedeutet nicht, dem Pferd alle Freiheiten zu lassen oder es nur noch auf der Weide zu beobachten. Es bedeutet vielmehr einen Dialog auf Augenhöhe und Selbstreflexion.
Beginne am Besten damit alles so zu machen wie immer… ABER beobachte dein Pferd dabei genau und lass dich nicht ablenken. Gerade am Anfang brauchst du dafür vermutlich viel Ruhe am Stall, da es nicht hilft, wenn dich ständig jemand anspricht oder du bei Gesprächen anderer mithörst.
Du suchst dir also einen Zeitraum aus, wo du weißt, dass du fast alleine am Hof bist. Und dann beobachtest du einfach mal ganz wertfrei jede Bewegung, jeden Blick deines Pferdes. Aber bitte, starre es dabei nicht an. Es sollte sich nicht zu sehr beobachtet fühlen.
Stell dir vor wie es wäre, wenn du dich mit einer Freundin zum Shoppen verabredest und diese schaut dich die ganze Zeit ununterbrochen an. Es wird nicht lange dauern bis du ziemlich genervt davon bist und wissen willst, was zum Teufel sie von dir will! Also, beobachten ja, aber bitte nicht zu aufdringlich. 😉
Worauf du achten könntest:
- Wie reagiert mein Pferd, wenn es mich zum ersten Mal sieht?
- Schaut es zu mir rüber, bleibt es unbeteiligt oder dreht es sich weg?
- Hebt es den Kopf hoch oder senkt es ihn?
- Spitzt es die Ohren oder legt es sie eher an?
- Kommt es zu mir, bleibt es stehen oder geht weiter weg?
- Zieht es die Nüstern hoch, hat es Sorgenfalten über den Augen?
- Wie reagiert es auf Halfter, Trense, Sattel etc.?
- Dreht es den Kopf? Wenn ja, in welche Richtung?
- Was machen die Ohren, die Nüstern, die Augen?
- Bewegt es seine Füße?
Um in solchen Situationen nun achtsamer zu reagieren, hier einige Beispielfragen, die du dir und deinem Pferd in verschiedenen Situationen stellen kannst:
- Warum dreht sich mein Pferd von mir weg bzw. schaut weg?
- Bist du damit einverstanden, dass ich dich jetzt sattle?
- Gefällt es dir, wenn ich dich hier anfasse?
Und schon etwas fortgeschrittener:
- Bin ich selbst heute in der Stimmung für XYZ?
- Habe ich die Übung gut genug erklärt was ich gerne möchte oder kann ich es noch kleinschrittiger aufbauen + belohnen?
- Warum möchte ich überhaupt, dass mein Pferd XYZ jetzt tut?
- Was würde mein Pferd jetzt viel lieber tun?
Schon allein beim Putzen kannst du so vieles tun, um achtsamer mit deinem Pferd umzugehen. Wenn du mehr zum Thema Achtsames Putzen erfahren willst, kannst du das HIER nachlesen.
Achtsamkeit – eine Frage von Respekt dem Pferd gegenüber
Respekt ist neben Vertrauen wohl das meist benutzte Wort im Pferdetraining. Doch warum muss immer nur das Pferd Respekt vor dem Menschen haben? Ist es nicht viel mehr so, dass wir zuerst Respekt dem Pferd gegenüber beweisen müssen?
Es heißt doch nicht umsonst:
Respekt muss man sich verdienen!
Wenn es heißt, dass Pferd muss mehr Respekt haben, wird häufig zum Dominanztraining gegriffen. Doch meist bekommt das Pferd dadurch eher Angst!
Ist das wirklich der Respekt, den ich haben möchte?
Ein kleiner Vergleich
Stell dir vor du hast einen Chef, der Choleriker ist! An manchen Tagen ist er nett und freundlich, an anderen schreit er dich plötzlich an, ist super streng und nicht zufrieden zu stellen. Du hast Angst vor ihm und achtest genau darauf, wo er gerade ist und ob er vielleicht auf dem Weg zu deinem Büro ist! Vermutlich wirst du alles tun, was er sagt! Doch tust du das gerne? Und respektierst du ihn?
Stell dir vor, dein Chef ist ein unsicherer Mensch, der ungern Entscheidungen trifft. Bei dem heute diese Regel gilt und morgen eine andere. Du weißt nie woran du bei ihm bist. Du hast zwar keine Angst vor ihm, würdest aber bei Sorgen und Problemen auch nie zu ihm gehen, denn Hilfe bekommst du von ihm eh nicht. Er wird vielleicht Mitleid haben, ala „Ach Gott, Sie Arme… was machen wir denn da?“. Aber im Endeffekt wirst du keine echte Unterstützung von ihm bekommen. Du bist bei diesem Chef eher unterfordert, wirst faul und träge und fragst dich, warum du überhaupt zur Arbeit gehst. Wie ist es hier mit Spaß und Respekt dem Chef gegenüber bestellt?
Und nun stell dir einen Chef vor, der freundlich ist, aber auch immer ein offenes Ohr für deine Sorgen und Probleme hat. Der schnell klare und gute Entscheidungen trifft, zu denen er dann auch steht. Ein Chef, der dich zwar fördert aber nicht überfordert. Er ist zwar schon ein Chef, aber du hast keine Angst vor ihm. Was meinst du? Gehst du hier lieber zur Arbeit und respektierst du diesen Chef?
Ein respektvoller Umgang mit dem Pferd beginnt bei dir selbst
„Respekt“ bedeutet für mich, dass ich auf die Bedürfnisse und Ängste meines Pferdes Rücksicht nehme. Dass ich hinterfrage und an mir selbst arbeite.
Und im Zweifelsfall eben mal nichts weiter tue, als mich auf den Paddock zu setzen oder meinem Pferd beim Grasen zusehe! Das ist übrigens eh eine super Entspannungsübung, die viel mehr bringt als der „entspannte Feierabends-Ausritt“, der meist gar nicht so entspannt bzw. entspannend ist. 😉
Fehler gehören zum Lernen dazu
Das Lernen hört nie auf und Fehler gehören zum Lernen dazu! Auch wenn du jetzt für dich entscheidest, einen achtsamen Umgang mit deinem Pferd pflegen zu wollen… Du darfst nicht von dir erwarten ab heute sofort alle Signale deines Pferdes zu sehen und richtig zu deuten. Das geht gar nicht! Ich denke kein Mensch kann ständig achtsam sein und es gehört auch dazu mal etwas zu übersehen oder auch die falschen Schlüsse zu ziehen. Das ist völlig normal und muss auch so sein. Denn häufig lernt man am Besten aus den Fehlern, die man macht!
Außerdem sind Pferde großartig im Verzeihen! Also verzeih dir selbst auch deine Fehler und versuch einfach, es beim nächsten Mal besser zu machen!
Fazit:
Ein achtsamer Umgang mit dem Pferd beruht auf:
- Im Hier und Jetzt sein
- Auf die Reaktionen des Pferdes zu achten
- Zu überlegen Warum das Pferd so reagiert
- Selbstreflexion und Arbeit an sich selbst
- Respekt dem Pferd und seinen Bedürfnissen, Ängsten und Sorgen gegenüber
- Dem Lernen aus gemachten Fehlern
- Sich selbst für Fehler zu verzeihen
Mehr Inspiration zum achtsamen Umgang mit dem Pferd bekommst du zum Beispiel in diesem
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